Und ewig grüßt das Murmeltier: Kollektivvertragsverhandlungen im Sozialbereich

Das Erlebnis gemahnt an Hollywood. Ein Film, den fast alle kennen, wo ein Mann jeden Morgen erneut erwacht und immer wieder das Gleiche erlebt. Doch das richtige Leben spielt leider nicht in Hollywood – darum gibt es für uns auch kein Happy End.

Endlosschleife

Wir wollen noch kurz das eingangs erwähnte Filmsujet etwas verändern. Seit mittlerweile drei Jahren gibt es im Sozial- und Gesundheitsbereich nun endlich einen eigenen Kollektivvertrag – den sogenannten BAGS-KV. Als dieser, nach fast einem Jahrzehnt währenden Verhandlungen, abgeschlossen wurde, war selbst vielen GewerkschaftsfunktionärInnen klar, dass er nicht gerade der große Wurf ist. Sie haben ihn daher in den Betrieben mit dem Argument verkauft, dass in den folgenden Jahren sicher, ja ganz sicher darauf geachtet werden würde, dass die Lohnabschlüsse deutlich über dem Durchschnitt liegen, um das schlechte Gehaltsniveau langfristig aber kontinuierlich zu verbessern.
Im Jahr 2007 fanden nun zum dritten Mal Gehaltsverhandlungen für diesen Kollektivvertrag statt. Die Lohnsteigerung beträgt für die meisten Gehaltsbestandteile 3%, liegt also deutlich unter den meisten anderen Branchen. Gefordert hatte die Gewerkschaft 5,5%, die Sozialbetriebe boten 2,1% - wir haben also um 2,5% nachgegeben und die ChefInnen nur um 0,9%. In den Jahren 2005 und 2006 lag die Erhöhung meist ziemlich genau dort, wo auch der öffentliche Dienst abgeschlossen hat, der auch in diesen Jahren unter dem Durchschnitt der anderen Branchen lag. Und das ist auch heuer so. Nur heuer liegt der BAGS-KV deutlich unter dem öffentlichen Dienst. Dort erhalten die Beschäftigten nämlich durchschnittlich Einkommenssteigerungen über 3%, wenn auch unter Einbeziehung einer Einmalzahlung von 175 EURO, die wir prinzipiell als nicht den richtigen Weg gewerkschaftlicher Lohnpolitik sehen..
Und alle Jahre wieder gab es das gleiche Spiel. Einige versponnene KollegInnen, die die Realitäten der modernen Welt mit einer tollen sozialen Absicherung und Spitzenlöhnen für alle noch immer nicht erkennen wollen, beginnen bereits im Sommer zu argumentieren, dass es erforderlich ist, sofort damit zu beginnen, die KollegInnen zu mobilisieren, um zu einem brauchbaren Gehaltsabschluss zu kommen. Mehrere SpitzenfunktionärInnen und Gewerkschaftshauptamtliche stimmen zu, dass das sehr wichtig ist. Dann passiert bis November nichts, woraufhin die bereits genannten SpinnerInnen erneut sagen, dass es jetzt aber wirklich Zeit für Mobilisierungen ist. Die genannten FunktionärInnen und Hauptamtlichen argumentieren darauf hin, dass es nun leider zu spät sei, die eigentlichen AnsprechpartnerInnen eh in der Politik zu finden sind und nicht die armen ArbeitgeberInnen seien, mit denen wir gemeinsam sozialpartnerschaftlich Druck auf die Politik ausüben sollten, und mensch sowieso während der Verhandlungen keine Aktionen machen dürfe. Außerdem würde es ohnedies auf Grund von Verhandlungsgeschick und überlegener Taktik der VerhandlerInnen zu einem wirklich guten, ja wirklich brauchbaren Abschluss kommen. Und schon gibt es wieder einen besch... Lohnabschluss! 2005, 2006, 2007, 2008, 2009 ... – die Jahre ziehen ins Land wie im Eingangs erwähnten Film die Tage.

Dumm gelaufen

Heuer lief aber so manches anders. In Linz gingen 1.500 KollegInnen auf die Straße, um ihren Anliegen Nachdruck zu verleihen – im Gegensatz zu Wien mit voller Unterstützung der GPA-djp. In Wien haben diese versponnen KollegInnen nach hartem Kampf eine Informationsveranstaltung für die Basis durchgesetzt, auf welcher doch tatsächlich Aktionen am Tag der letzten Kollektivvertragsverhandlungsrunde durchgesetzt wurden. Und diese Aktionen haben auch noch tatsächlich statt gefunden.
Am Vormittag wurden den ArbeitgeberInnen Frühstückssäckchen mit der Botschaft übergeben, dass sich viele Lohnabhängige selbiges oft nicht mehr leisten könnten. Hier einige Bilder von der Aktion.

Am frühen Abend versammelten sich ca. 50 KollegInnen beim Verhandlungsort, um den VerhandlerInnen der Gewerkschaft mit Sprüchen, Reden, Trillerpfeifen und aufgemalten Forderungen, welche schließlich am Verhandlungsort aufgehängt wurden, den Rücken zu stärken.
Als die Kundgebung aber die VerhandlerInnen der Lohnabhängigen besuchen wollte, wurde das mit mehr als Verwunderung quittiert. Kein Wunder, ist doch die wahre Störung für GewerkschaftsfunktionärInnen nicht so sehr die ArbeitgeberInnenseite als vielmehr eine aufmüpfige Basis, die glaubt selbst zu wissen, was sie braucht und was gut für sie sei. Offensichtlich gibt es aber gerade im Sozial- und Gesundheitsbereich zahlreiche KollegInnen, die sich nicht länger von den FunktionärInnen und Hauptamtlichen bevormunden lassen wollen. Nicht umsonst gibt es bereits in Wien und Linz Vernetzungen an der Basis dieser Branche in welchen im Gegensatz zur Gewerkschaft auch KollegInnen ohne Funktion mit gleichen Rechten wie BetriebsrätInnen und FunktionärInnen mitarbeiten können. Aber es sollten auch nicht alle FunktionärInnen in einen Topf geworfen werden, denn schließlich haben nur etwa zwei Drittel der Stimmberechtigen der Annahme des verhandelten Kompromisses zugestimmt. Jenen, die nicht für diesen Verkauf unserer Anliegen gestimmt haben, gilt unsere Hochachtung.

Skandalabschluss und das Murmeltier

Solche Vernetzungen können ein Ansatzpunkt dafür sein, dass die FunktionärInnen und Hauptamtlichen nicht mehr länger über die Leben der breiten Masse der Lohnabhängigen bestimmen. Ein Lohnabschluss in dieser Höhe ist in Anbetracht der jahrelangen Reallohnverluste, der zu erwartenden Inflationslage, der steigenden Gewinne und sinkenden Steuerlast der Wirtschaft schlicht und einfach ein Skandal, verdammt wieder zahlreiche KollegInnen zu einem Dasein als „working poor“.
Es wird Zeit, dass wir Lohnabhängigen wieder selbst unser Schicksal in die Hand nehmen. Solche Vernetzungen sind ein guter Ansatz dazu. Sie müssen aber auch über eine politische Perspektive verfügen, welche es möglich macht, dass die Gewerkschaften wieder zu Kampforganen für unserer Interessen werden. In anderen Ländern wären keine Lohnverhandlungen ohne Streiks und sonstige Aktionen vorstellbar. In Österreich werden sie von unserer eigenen Vertretung als befremdliche Störung empfunden.
Nehmen wir uns ein Beispiel an anderen Ländern und beginnen jetzt sofort damit, uns auf die nächsten Kollektivvertragsverhandlungen vorzubereiten und darauf hinzumobilisieren. Selbstverständlich muss die Basis dabei selbst entscheiden können. Aber auch das ist ein Bruch mit der österreichischen Gewohnheit, was sich daran zeigte, dass eine Gewerkschaftsfunktionärin bei der bereits genannten Informationsveranstaltung im Rahmen der Abstimmung über Aktionen meinte, dass hier keine Beschlüsse möglich sind, weil ja die Basis laut Statut gar nicht abstimmen darf. Wer aber sollte sonst darüber entscheiden können, welche Forderungen im Rahmen der Verhandlungen erhoben und welche Verhandlungsergebnisse angenommen werden. Und wenn erst die Lohnabhängigen, die vielgerühmte Basis selbst entscheidet, dann wird das Murmeltier recht schnell erwachen.

Axel Magnus, Betriebsratsvorsitzender SDW und Mitinitiator der „Vernetzung im Wiener Sozial- und Gesundheitsbereich“