Solidarität und Standortdenken: Ein Kommentar zur österreichischen Sicht des deutschen LokführerInnenstreiks

Ab Freitag den 05.10.2007 wollen Teile der LokführerInnen in Deutschland streiken. Eine Gewerkschaft, die noch nicht einmal alle Betroffenen vertritt (die GDL), da es in dieser Berufsgruppe glücklicherweise auch noch BeamtInnen gibt, die nach deutschem Recht überhaupt nicht streiken dürfen, ruft also zum Kampf auf in Anbetracht sich laufend verschlechternder Arbeitsbedingungen. Ziele des Arbeitskampfes sind ein eigener Kollektivvertrag - schön zu hören in Zeiten der laufenden Forderung nach der Verlagerung der Regelung unserer Arbeitsbedingungen auf die betriebliche Ebene, Verbesserungen bei der Arbeitszeit und vor allem eine Lohnsteigerung von 31%.
Manche mögen dies für vollkommen irreal halten. Tatsächlich ist es aber möglich, wie die britischen Feuerwehrleute vor einigen Jahren bewiesen haben, als sie mit einem Streik sogar eine Lohnerhöhung von über 40% durchgesetzt haben. Andererseits ist es aber vor allem notwendig, wie die in den letzten Tagen selbst von den bürgerlichen Massenmedien nachgewiesenen Reallohnverluste seit 1992 deutlich beweisen. Dazu kommen noch massive Preissteigerungen in den letzten Monaten in einer Reihe von Bereichen. Von den rasant zunehmenden Unternehmensgewinnen und ManagerInnengehältern sowie der Jahr für Jahr deutlich zunehmenden Produktivität, mit welchen unsere Löhne schon seit Jahrzehnten nicht mehr mithalten können, wollen wir da noch gar nicht reden.
Um den Streik in seiner Wirkung zu beschränken, will die deutsche Bahn vermehrt auf beamtete LokführerInnen zurück greifen und auch österreichische und schweizer LokführerInnen einsetzen. Geradezu wohltuend nimmt sich da die Aussage des Vorsitzenden der Konzernvertretung der ÖBB und stellvertretenden Vorsitzenden der vida Wilhelm Haberzettel in einer Presseaussendung des ÖGB vom 2.10.2007 aus, dass Österreichs LokführerInnen keine StreikbrecherInnen sind. Eigentlich ist dies eine Selbstverständlichkeit, doch wird es so selten gesagt, dass es für eine Spitzengewerkschafter schon fast als Wunder erscheint.
Im weiteren Text der Presseaussendung kommt dann aber gleich die Ernüchterung: „Von österreichischen Lokführern werden über die planmäßigen Züge hinaus, oder über die mit diesen Zügen in Zusammenhang stehende Verkehre hinaus, keine weiteren Zugleistungen übernommen.“ Aha, die 120-130 Züge, die ohnedies von österreichischen KollegInnen gefahren werden, werden also trotz des Streiks fahren. Und weiters werden diese auch die im „Zusammenhang damit stehenden Verkehre“ bedienen. Von aktiver Unterstützung der KollegInnen in Deutschland kann also nicht die Rede sein.
Kein Wunder auch, spricht Kollege Haberzettel doch im weiteren von einem „innerdeutschen Problem“, um welches es sich bei diesem Arbeitskonflikt handle. Die permanente Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, insbes. der Löhne, ist also laut eines unserer Spitzengewerkschafter ein innerdeutsches Problem. Haben wir wohl in Österreich nicht? Und auch sonst auf der Welt nirgendwo?
Tatsächlich stehen alle Lohnabhängigen dieser Welt tagtäglich einem Angriff der Bosse nach dem anderen gegenüber. Und die meisten dieser Angriffe sind erfolgreich. Eine Ursache dafür ist eben das Standortdenken, welches in dieser Argumentation von Kollegen Haberzettel, der nebenbei bemerkt ja auch Präsident der Europäischen Transportarbeiter Föderation ist, zum Ausdruck kommt. Solange die Gewerkschaften solche Konflikte als nationale Probleme sehen, haben es die Bosse leicht, uns gegeneinander auszuspielen und einen Teil von uns Lohnabhängigen nach dem anderen im Rahmen ihrer Salamitaktik niederzumachen.
Wenn Kollege Haberzettel dann aber abschließend darauf hinweist, dass „bei einer länger dauernden Bestreikung der Deutschen Bahn mit massiven Auswirkungen auf den Güterverkehr der ÖBB gerechnet werden muss, weil die Hauptexport- und Importverkehre, sowie die Transitverkehre aus Deutschland kommen“, dann muss ich mich fragen, um was es dem Kollegen wirklich geht. Um den Schutz des österreichischen Wirtschaftsstandortes oder aber um die Anliegen unserer deutschen KollegInnen?
Der Hinweis auf die Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft ist absolut unnötig. Diese Sorgen können wir getrost den Unternehmen überlassen. Unsere Aufgabe als GewerkschafterInnen wäre es hingegen, uns nicht nur ohne Wenn und Aber um die Arbeitsbedingungen unserer deutschen KollegInnen zu sorgen, sondern vor allem auch diesen unsere bedingungslose Solidarität zukommen zu lassen.
In der Praxis würde das nicht nur erfordern, dass KollegInnen hierzulande nicht nur passiv nicht als StreikbrecherInnen zur Verfügung stehen, sondern dem Kampf unserer KollegInnen - egal in welchem Land der Welt - aktiv unterstützen. Und in Bezug auf Deutschland ist das besonders leicht. Eine Gewerkschaft, die ihrem Namen gerecht wird, würde verhindern, dass Züge mit deutschen LokführerInnen über österreichisches und solche mit österreichischen LokführerInnen über deutsches Gebiet fahren, oder sich gar dem Arbeitskampf der deutschen Gewerkschaft der LokführerInnen anschließen.
Denn nur europaweit können wir auf Dauer die Verschlechterung unserer Arbeitsbedingungen verhindern - durch die Angleichung derselben auf das höchste bestehende Niveau. Die Forderung nach 31% Lohnerhöhung würde ich mir angesichts des jahrelangen Reallohnverlustes überall auf der Welt wünschen - auch in Österreich und für alle Branchen!

Axel Magnus, Betriebsratsvorsitzender SDW