Belegschaftsvertretung

Profitquelle Pflegeheim?

Die ÖVP Vorarlberg präsentiert das Ländle ständig als Hort der Glücklichen. Um sich in ihrer Meinung bestätigen zu lassen, gibt sie sogar regelmäßig Umfragen in Auftrag, die das dann auf wissenschaftlich eruierter Basis bestätigen. Wer diese Menschen sind, die da befragt werden – darüber lässt sich nur spekulieren. Zur Ernüchterung des konservativen Höhenfluges könnte es allerdings beitragen, wenn auch einmal das Vorarlberger Pflegepersonal sowie die in Pflegeheimen untergebrachten älteren Menschen in diese Umfrage miteinbezogen werden würden. In diesem Bereich offenbart sich derzeit ein Skandal sondergleichen.
Wenn jemand eine Lehre als Speditionskaufmann, das Studium der Wirtschaftswissenschaften und die Handelsakademie für Berufstätige gemacht hat und dann Personalleiter bei HILTI, danach Management- und Personalentwicklungsleiter bei HILTI war und daraufhin eine Unternehmensberatung aufgebaut hat – für welchen Nachfolgejob eignet sich jemand mit einer solchen Karriere am besten? Richtig, er übernimmt die Leitung und das Management der öffentlichen Altenpflege in Vorarlberg. Seit Juli 2006 ist Mag. Hansjörg Schmid Geschäftsführer des privaten Dienstleisters „Benevit“. Benevit profitierte vor einigen Jahren von der Logik konservativer Budgetpolitik, der nach der Sozialbereich keinesfalls Defizitär sein dürfe und Privatunternehmen effizienter als staatliche arbeiten würden. Aus diesem Grund lagerten viele Vorarlberger Gemeinden die Leitung der soziale Dienste aus und verpflichteten private Dienstleister. Sie sollten aus den roten schwarze Zahlen machen – und es funktionierte!
Aus privatwirtschaftlicher Sicht arbeitete das private Management perfekt, man bekam das Defizit in Griff. Ausbaden durften das allerdings die Pflegebedürftigen und das Pflegepersonal. Das Personal wurde einem immer größeren Arbeitsdruck ausgesetzt. Zu vielen Arbeiten, für die qualifiziertes Personal notwendig gewesen wäre, wurde aus Kostengründen das Präsenzpersonal herangezogen, das etwa für die direkte Pflege keine Ausbildung besitzt. Das führte bei einigen PflegerInnen zu Burnouts, die anderen warfen das Handtuch, bevor es soweit kam. Erklärt wird somit auch die hohe Personalfluktuation seit der Auslagerung an private Träger. Die Situation am Arbeitsplatz wurde für viele Pflegekräfte unerträglich. Viele ehemalige motivierte PflegerInnen sitzen heute frustriert zu Hause und wollen von dieser Tätigkeit nichts mehr wissen.
Noch härter betroffen sind zweifelsohne die Pflegebedürftigen, die diesem Regime wehrlos ausgeliefert sind. Die Betreuung durch unqualifiziertes Personal stellt für alte hilfsbedürftige Menschen ein nicht kalkulierbares Risiko dar. Zusätzlich wurde im Zuge des Sparkurses immer weniger auf die Bedürfnisse der Heiminsassen eingegangen. So gibt es in den meisten Vorarlberger Pflegeheimen heute nur noch ein einziges Mittagsmenü (statt zwei wie früher). Laut Vorarlberger Nachrichten wird immer öfter auf ErnährungsassistentInnen verzichtet, die auf die Nahrungsbedürfnisse der einzelnen Personen eingeht. Das Essen wird teilweise nicht einmal mehr für DiabetikerInnen abgestimmt.
Aufgeflogen ist dieser Status quo aufgrund einer routinemäßigen Kontrolle vor einigen Monaten im Rankweiler „Herz Jesu Heim“, das vom privaten Dienstleister „Benevit“ geleitet wird. Der breiten Öffentlichkeit wurde der Fall allerdings erst durch die Aussagen des für dieses Heim zuständigen Arztes sowie das mutige Auftreten einer erfahrenen Pflegerin dieses Heims, Gertrud Pleh, bewusst. Gegenüber dem ORF sagte sie vor einer Woche: „Es kommt vor, dass über mehrere Tage kein Diplompersonal anwesend ist und die Verbleibenden es nicht mehr schaffen, optimal zu pflegen. Es ist zu Wundliegen gekommen, zurückzuführen auf unsere Tagesanwesenheit, die so knapp eingeteilt ist, dass man es einfach nicht mehr optimal hinbringt.“
Welche Zustände werden da den Schwächsten unserer Gesellschaft zugemutet? Kann es wahr sein, dass im reichen und glücklichen Land Vorarlberg eine gesamte Generation fahrlässig vernachlässigt wird? Wie kann es sein, dass Menschen, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben und nun auf Hilfe angewiesen sind, derartig behandelt werden?
Die ÖVP Vorarlberg reagierte wie gewohnt auf Missstände, die nicht in das Idyll der konservativen Illusionen passen. Soziallandesrätin Greti Schmid meinte, sie sehe keinen Anlass zu handeln und, Zitat: „Solche Dinge kommen ab und zu vor.“ Das Land Vorarlberg könne insofern zur Problemlösung beitragen, als dass es Unterstützung bei der Erstellung von Dienstplänen und bei der Personalplanung geben wird.
Kurz darauf wurde die Krankenpflegerin Pleh aufgrund ihrer Kritik fristlos gekündigt. Angesichts des Drucks, der nach ihrem ORF-Interview von Seiten der Geschäftsführung auf die gesamte Belegschaft ausgeübt wurde, sprach die ArbeitnehmerInnenvertretung schon von einem „Regime der Angst und des Mundtotmachens“. Die ÖVP reagierte nur zögerlich, indem sie die Kündigung akzeptierte und der Gemeindeverband Pleh eine andere Stelle in Aussicht stellte.
Am vergangenen Mittwoch versammelten sich daraufhin 30 BetriebsrätInnen Vorarlberger Pflegeeinrichtungen. Sie verabschiedeten eine Resolution, die den Umgang mit den Pflegekräften stark kritisierte sowie den Stopp des Personalabbaus forderte. Daraufhin marschierten die BetriebsrätInnen in Warnwesten zum Herz Jesu Heim, verlautbarten dort öffentlich die Resolution und legten Tulpen für die gekündigten KollegInnen vor einem Schild mit der Aufschrift „Wer redet fliegt – mit uns nicht!“ nieder. Gleichzeitig drohte die Gewerkschaft mit weiteren Maßnahmen, sollte der Arbeitsdruck weiterhin so sehr auf den PflegerInnen lasten. Diese Maßnahmen würden laut Bernhard Heinzle von der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) branchenübergreifend stattfinden und von hunderten BetriebsrätInnen aus Solidarität mitgetragen werden.
Diesem Druck konnte die ÖVP nicht standhalten. Gertrud Pleh erhielt nun nach nicht einmal einer Woche wieder ein Jobangebot bei ihrem ehemaligen Dienstgeber und Landesrätin Schmid sah sich dazu gezwungen, die Prüfung aller 51 Vorarlberger Pflegeheime anzuordnen. Man sieht wie schnell gewisse Dinge auf einmal in Gang gesetzt werden, sobald sich die Angestellten einmal bewegen – da ist auch die allmächtige ÖVP machtlos. Das Bekanntwerden eines weiteren Skandalheims trug zusätzlich noch dazu bei.
Klar ist allerdings, dass die ÖVP kein Interesse daran hat, die herrschenden Zustände tatsächlich zu verändern. Die paar kosmetische Eingriffe dienen vor allem zur Beruhigung der Bevölkerung, keinesfalls aber zur wirklichen Verbesserung der Situation. Das Problem liegt nicht darin, dass das private Management falsch gewirtschaftet hat. Die Ursache des aktuellen Skandals liegt in der Tatsache, dass der Pflegebereich überhaupt erst von Privatunternehmen übernommen wurde. Private Institutionen folgen dem Primat des Profits, sie müssen einen Gewinn erwirtschaften – Gewinn aus der Pflege hilfsbedürftiger Menschen. Was in einer perversen privatwirtschaftlichen Logik zu Lasten des Personals und der Pflegebedürftigen durchaus erfolgreich funktionieren kann, ist gesamtgesellschaftlich der pure Wahnsinn. Der aktuelle Fall in Vorarlberg führt einer breiten Masse das vor Augen, was auch in anderen Bundesländern längst schon zur Normalität geworden ist.
Das ganze ist nicht zuletzt deshalb so pikant, weil es sich in einem der reichsten Bundesländer abspielt. Vorarlberger Unternehmen sind weltweit aktiv, das Rheintal gehört zu den dichtesten Industriegebieten Österreichs und das Land Vorarlberg sitzt aufgrund der hohen Steuereinnahmen auf einer enormen Summe an Geld. Warum werden alte Menschen in solch einem Land von völlig überarbeiteten Pflegekräften betreut? Warum mutet man den Menschen an ihrem Lebensabend solche Strapazen und Qualen zu? Wie kann es auch sein, dass im christlichen Vorarlberg die christlichsoziale ÖVP die Augen vor Missständen im sogenannten „Herz Jesu Heim“ beinhart ignoriert? Waren es die katholischen Werte des Rankweiler ÖVP-Bürgermeisters, die ihn dazu veranlasst haben, die ihm bekannte Misere zu verschweigen und nicht zu handeln? Wo war die christliche Nächstenliebe der Landesrätin Schmid, als sie die zynische Aussage tätigte, dass solche Sachen wie Wundliegen eben „ab und zu“ vorkommen? Sind sich diese Personen dessen bewusst, dass sie damit die Schwächsten der Gesellschaft verhöhnen und im Stich lassen?
Wie scheinheilig, ständig den Hurra-Vorarlberg-Lokalpatriotismus hochleben zu lassen, auf die Bedeutung der christlich-abendländischen Werte hinzuweisen und gleichzeitig aus der Nächstenliebe ein lukratives Geschäft für private Geier à la Benevit zu machen, damit man sich selbst die Hände und vor allem das Budget reinwaschen kann!
Auf die Misstände gibt es klare Antworten: Sämtliche Pflegeheime müssen sofort wieder von der Öffentlichkeit übernommen werden! Raus mit all den parasitären PrivatprofiteurInnen à la Benevit! Die Pflege alter Menschen muss auf der Basis der neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse und der neusten Technologie erfolgen! Das Personal muss kostenlos die beste Ausbildung genießen und angemessen bezahlt werden!
Alle haben nach einem harten Arbeitsleben das Recht, sich zurückzulehnen, das Leben zu genießen und im Fall der Fälle auf ausgebildete Fachkräfte vertrauen zu können. Wehren wir uns gegen die schleichende Privatisierung und Aushungerung des Sozialsektors – im Interesse eines respektvollen Umgangs mit den Alten und Kranken sowie im Interesse unseres eigenen Zukunft.

Lukas Riepler, Landesvorsitzender der SJ Vorarlberg