Soziale Arbeit – quo vadis? - ein innerer Monolog

Montag, 5. Mai 2008: Morgen! Wie war’s Wochenende? Fein, danke! Los geht’s, gibt schon Dringendes zu tun! Tür auf, Licht auf, PC ein, das kurze Unwohlsein – ausgelöst durch den Gedanken an den vielen notwendigen monotonem Papierkram – überbrücken. Kaffee. Kaffee muss her!
Wieder keine Bohnen – das nervt! Noch wird’s ja bezahlt. Aber das wird auch schon diskutiert. Angeblich wird zuviel Kaffee gesoffen. Schlecht fürs Budget. Da besteht Einsparungspotential!!! Ein wirklich tolles Wort – Einsparungspotential. Und im Betrieb so vielseitig anwendbar. Auch auf die Zeit für KlientInnen – 1,5 Stunden sind zu viel, 1,3 müssen reichen. Wer bestimmt’s? Leute, die mit Suchtkranken persönlich nur dann zu tun haben, wenn sie angeschnorrt werden. Wie beruhigend.
Gleich 11, ich sitz immer noch beim zweiten Klienten. Der ist wirklich mühsam. Hoffentlich haben’s die anderen nicht stressig deswegen – ich muss schneller machen. Eigenartig – ich rede mir schon selbst ein, dass ich zu wenig hackle. Wenn’s die oben immer wieder sagen, glaubst du’s am Ende noch ...
Hunger! Schnell raus und rüber ins Geschäft. Hab ich noch genug Geld? Ein paar Essensmarken sind noch da, die werden reichen. Feine Sache, dieses Überbleibsel der alten Zeiten vor der Ausgliederung. Den Neuen in der Firma ist dieser Luxus nicht mehr vergönnt. Mit einer Betriebsvereinbarung dazu schaut’s denkbar schlecht aus.
Ach ja, morgen ist Betriebsversammlung, da gibt’s dann wieder ernüchternde News dazu. Vielleicht doch mal eine Antwort auf die E-Mail der Belegschaft an die Chefs? Ist doch schon länger her. Scheint keine Priorität zu haben. Vor zwei Jahren (Ausgliederung) war die Stimmung nicht so mies. Die Federführenden der Abspaltung haben ja auch Verbesserungen versprochen damals. Gemerkt davon hab ich nichts. Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben?
Puh, Nachmittag auch erledigt, fordernde KlientInnen. Vielleicht doch um Supervision ansuchen? Wochenlang auf die Genehmigung warten? Neu einreichen müssen wie viele KollegInnen? Mal schauen. Der leidige Papierkram, kein Ausweg mehr – doch noch schnell einen Kaffee? Lesen, blättern, tippen, suchen, drucken, kontrollieren, heften, sortieren.
"Was? Welche Antwort? Von der Geschäftsführung?" Tatsächlich schreiben die zurück – hätt ich mir fast nicht mehr gedacht. Irgendwie ironisch die Antwort – kurz vor Dienstschluss am Tag vor der Betriebsversammlung – schneller ist es nicht gegangen? 6 Seiten, nicht schlecht. Was steht da alles? Ziel unserer Arbeit ... KlientInnen ... bestmögliche Leistungen ... Betriebskultur ... Lebensraum ... partnerschaftliches Miteinander ... Konfliktkultur ...
Schöne Worte, scheint ja alles kein Problem zu sein, gäbe es da nicht den einen oder anderen Betriebsrat. Die benutzen wieder die bösen Worte „Klassenkampf“ und „Kampfbereitschaft“. Deswegen geht nichts weiter, meinen die Chefs, soso ... Angst machen sie uns damit? Soll ich dem Betriebsrat nun das Vertrauen entsagen und drauf hoffen, dass dann was passiert? Damit kann ich nichts anfangen. Ich werd grantig ...
Sollt ich mich doch um einen anderen Job umschauen? Alt werd ich hier sicher nicht! Aber die KollegInnen anderswo haben ja auch nichts zu lachen. Die angedrohten Änderungskündigungen in Oberösterreich – da krieg ich Angst!
Jetzt aber raus – ein bisschen Sonne erwisch ich schon noch – das ist mein Lebensraum!

Der Autor ist Sozialarbeiter in einem von der Gemeinde Wien ausgegliederten Sozialbetrieb. In diesen – und auch den ausgegründeten – „Firmen“ (wie FSW, SDW, PSD, KWP) werden die bei der Gemeinde üblichen Arbeitsbedingungen systematisch unterlaufen. Im konkreten Fall werden noch nicht einmal gesetzliche und kollektivvertragliche Bestimmungen eingehalten. Gleichzeitig wird vorgegaukelt, dass Belegschaft und Geschäftsführung die gleichen Interessen hätten, was mit einem enormen emotionalen Druck verbunden wird, so dass es vielen KollegInnen schwer fällt, ihre Meinung offen zu sagen.