Einmal streiken bittesehr

"'Wir müssen auf die Straße. Fangts endlich an', erinnerte sich Regina Assigal, Betriebsrätin von Siemens, an das legendäre Streikjahr 2003. Für Beate Holder, Personalvertreterin bei den Wiener Linien, 'war diese Einigkeit einfach phänomenal'." Mit diesen Worten beginnt eine Presseaussendung des ÖGB vom 25. Jänner 2008 über die Präsentation des Buches "Das Streikjahr 2003" der Journalistin Nina Horaczek. Worte, denen ich mich vollkommen anschließen kann. Und Stimmungen, die damit zum Ausdruck gebracht werden, welche viele von uns damals ganz ähnlich empfunden haben.
Ganz anders lesen sich aber die Aussagen der Spitzenfunktionäre der Gewerkschaft, welche an diesem Abend zum Besten gegeben wurden. Kollege Haberzettl, damaliger Vorsitzender der seinerzeitigen Gewerkschaft der EisenbahnerInnen, etwa sagte laut der bereits genannten Presseaussendung: "Der Streik hat Irres bewirkt. Die werden das Dienstrecht nicht mehr anrühren."
Warum aber bitte kam dann trotzdem die Strukturreform der ÖBB mit der diese zumindest zum Teil zerschlagen wurde? Und warum bitte wurde trotz des Kampfeswillens der KollegInnen, der in den obigen Aussagen zum Ausdruck kommt, die Pensionsreform von SchwarzBlau nur mit kosmetischen Korrekturen durchgezogen.
Diese Zeilen sollen keinesfalls dazu dienen, die Kampfbereitschaft und die Notwendigkeit von Klassenkämpfen gegen soziale Verschlechterungen zu negieren. Ganz im Gegenteil möchte ich damit zum Ausdruck bringen, dass dieser Kämpfe großartig waren, aber leider von der Gewerkschaftsspitze nicht entschieden genug geführt und zu früh beendet wurden. Andernfalls müssten wir uns heute nicht Erfolge, die es nicht gegeben hat, schönreden lassen, Niederlagen als Erfolge verkaufen lassen. Andernfalls hätte es wahrscheinlich im November 2003 in Österreich den ersten Sturz einer Regierung seit 1945 durch eine Massenbewegung gegeben.
Die Galle steigt mir hoch, wenn ich das folgende Zitat aus der bereits genannten Presseerklärung in mir wirken lasse. "Streiken bedeutet aber auch Verantwortung übernehmen. Etwa wenn es den Gesundheitsbereich betrifft. ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer, damals Vorsitzender der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, erinnerte sich: In den Wiener Spitälern wurde damals nicht gestreikt, dafür gab es für alle PatientInnen als Zeichen der Solidarität nur ein Mittagsmenü, eine schmackhafte Streiksuppe." Darum also durften die KollegInnen im Gesundheits- und Sozialbereich damals nicht streiken – weil unsere lieben GewerkschaftsführerInnen wieder einmal lieber staatstragend Verantwortung übernahmen anstatt sich wirklich um unsere Anliegen als Beschäftigte zu kümmern!
Warum bitte können nämlich die KollegInnen in anderen Ländern im Gesundheitsbereich sehr wohl streiken? Warum bitte kann nicht auch in Österreich alles in diesem Bereich – außer selbstverständlich Leistungen, die unbedingt erforderlich sind – bestreikt werden? Die Schönheitsoperation für Frau Bonzin hätte wohl auch noch ein paar Tage warten können!
Kollege Hundstorfer hat auf der Veranstaltung auch gesagt: "Als Gewerkschaft sind wir um den Erfolg auf dem Verhandlungsweg bemüht. Die Konsenswelt ist aber dann Geschichte, wenn Verhandlungen keinen Erfolg bringen." Schön und gut. Niemand will kämpfen, bevor geredet wurde. Tatsächliche hat es bei den ach so tollen Verhandlungen der SozialpartnerInnen in den letzten Jahren eine Verschlechterung nach der anderen gegeben. Warum wurde hier dann nicht gekämpft? Ist der ÖGB dazu wirklich bereit oder war 2003 nur eine historische Ausnahme?
Verschämt wird in der genannten Presseaussendung verschwiegen, was die Autorin des Buches auf der Veranstaltung gesagt hat, der Autor diese Zeilen aber glücklicherweise hören konnte. Viel engagierte GewerkschafterInnen werden es leider nicht lesen können, da es dem ÖGB offenbar zu peinlich ist. Die Autorin sagte sinngemäß: Der ÖGB hat sich damals erstmals seit langem den Wünschen seiner Mitglieder angenähert! Und das war auch genau die Stimmung zahlreicher anwesender KollegInnen auf der Veranstaltung, die sich immer wieder halblaut für ein kämpferisches Auftreten des ÖGB ausgesprochen haben.
Die Gewerkschaftsmitglieder sind auch heute jederzeit bereit zu kämpfen! Die Gewerkschaftsspitze ist es offensichtlich nicht. Warum bitte müssen wir das Streikjahr 2003 hochleben lassen, wenn es seither zahlreiche andere Gründe für einen Streik oder andere Formen des Klassenkampfes gegeben hat? Ganz einfach – der ÖGB möchte dieses Jahr gerne als glorreiche Periode in seiner Geschichte darstellen, aber gleichzeitig auch als die große Ausnahme, von der das Image lange Jahre zehren muss.
Währenddessen werden unsere Arbeits- und Lebensbedingungen täglich schlechter. Warum also hat sich der ÖGB bitte seit 2003 wieder so sehr von den Wünschen und Bedürfnissen von uns Lohnabhängigen entfernt?

Axel Magnus, Betriebsratsvorsitzender SDW und Mitinitiator der Kampagne „Wir sind ÖGB“