Hundstorfer: Neue Arbeitszeitrichtlinie verheerendes Signal für Soziales Europa: Erneut werden unter dem Titel der "Flexicurity" wesentliche Verschlechterungen für die europäischen ArbeitnehmerInnen durchgesetzt

"Mit der Einigung sind die ArbeitsministerInnen weit über das Ziel hinausgeschossen - zum Nachteil der ArbeitnehmerInnen in Europa", kommentiert ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer den Kompromiss, der heute Nacht zur Arbeitszeitrichtlinie und zur Leiharbeitsrichtlinie von den Arbeitsministern gefunden wurde. "Letztlich ist Großbritannien für seine jahrelange Blockadepolitik auch noch belohnt worden, dagegen haben die Forderungen der Gewerkschaften und des EU-Parlaments im Rat keine Berücksichtigung gefunden", kritisiert Hundstorfer.
"Unter Flexicurity stellen wir uns etwas anderes vor als ausschließlich flexibilisieren ohne Sicherungen einzuführen", stellt der ÖGB-Präsident fest und lobte jene Mitgliedstaaten, die sich bis zum Schluss den politischen Erpressungsversuchen der Briten entgegengestellt haben, insbesondere Spanien. Der Mehrheit im Rat der EU-ArbeitsministerInnen hat jedoch allen wesentlichen Forderungen der Unternehmerverbände nachgegeben: So wird die Beibehaltung der Ausnahmemöglichkeiten ("Opt-Out") von den Höchstarbeitszeiten zu einer weiteren Aushöhlung der Richtlinie führen. Hingegen hatten sich der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) und das Europäische Parlament eindeutig für ein Auslaufen dieses Missbrauchsinstruments ausgesprochen.
"Das Signal, das mit einer Höchstarbeitszeit von bis zu 65 Stunden gesetzt wird, ist verheerend. Dies ist ein klarer Rückschritt für das Soziale Europa", so der ÖGB-Präsident, der nun auf das EU-Parlament setzt: "Die Abgeordneten werden sich hoffentlich nicht dem faulen Kompromiss der Mitgliedstaaten beugen, sondern ein deutliches Zeichen für ihre politische Eigenständigkeit setzen." Die ganze Diskussion über die Arbeitszeitrichtlinie in der EU wurde ursprünglich durch die EuGH-Entscheidungen zur Arbeitsbereitschaft ausgelöst. Die nationalen Gewerkschaftsverbände wie auch der Europäische Gewerkschaftsbund haben hier immer Kompromissbereitschaft signalisiert, solange es um sozial ausgewogene Lösungen unter Einbindung der Sozialpartner ging. "Was jetzt auf dem Tisch liegt, ist jedoch sozial unausgewogen und geht einseitig zu Lasten der ArbeitnehmerInnen", so Hundstorfer. Zukünftig soll inaktive Arbeitsbereitschaft in der Regel keine Arbeitszeit mehr darstellen, Durchrechnungszeiten können verlängert werden, und die Höchstarbeitszeitgrenze von durchschnittlich 48 Stunden pro Woche dürfte nun in der EU immer stärker unter Druck geraten. Der ÖGB-Präsident warnt vor allfälligen Auswirkungen der Entscheidung für Österreich. Hundstorfer: "Mit dem Arbeitszeitpaket haben die österreichischen Sozialpartner im vergangenen Jahr gezeigt, wie Flexibilität mit sozialer Sicherheit verbunden werden kann. Der ÖGB wird allen Versuchen, hinter diese Lösungen zurückzufallen, seinen entschiedenen politischen Widerstand entgegensetzen."
Die ebenfalls erfolgte Einigung auf eine Richtlinie für LeiharbeitnehmerInnen kann am ernüchternden Gesamtergebnis des Rates kaum etwas ändern. "Natürlich begrüßen wir es, wenn LeiharbeiterInnen nun auch europaweit ab dem ersten Beschäftigungstag gleichbehandelt werden sollen, aber die Details des gefundenen Kompromisses lassen auch hier Zweifel am ernsthaften Willen der MinisterInnen aufkommen", befürchtet Hundstorfer. So sollen Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen vom Prinzip des "Equal Pay" abweichen können. Durch Kollektivvertrag und gesetzliche Regelungen wurde die Diskriminierung von LeiharbeitnehmerInnen in Österreich bereits beseitigt. "Es wird sich in der betrieblichen Praxis erst noch zeigen, ob LeiharbeitnehmerInnen nun auch EU-weit ihren Anspruch auf gleichen Lohn durchsetzen können", so der ÖGB-Präsident abschließend.

ÖGB, 10.06.2008