QuerHerumBetrachtet: Wir wollen die ganze Bäckerei!

Als Sozialarbeiterin im Jugendbereich machen mich die jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen doppelt betroffen. Als Arbeitnehmerin, die jedes Jahr weniger Geld zur Verfügung hat, und als Beraterin für junge ArbeiterInnen, die bestimmte Mahlzeiten (nicht aus Schlankheitswahn) ausfallen lassen, ab dem 21. im Monat zu rauchen aufhören, vor statt im Kaffeehaus konsumieren und für die Rasierklingen und Tampons Luxusgüter sind. Der Spagat zwischen der vorgegaukelten Konsumfreiheit und der ökonomischen Realität endet nicht selten mit einer Bruchlandung in der Schuldenfalle. Wie kann mensch auch arm sein im siebtreichsten Land der Welt? Da muss mensch wohl schon besonders ungeschickt oder dumm sein ..., meinen zumindest die Bürgerlichen.
Ihre Ignoranz beim Schönreden der jahrelangen Umverteilung von unten nach oben kennt dabei keine Grenzen. Als besonders karitativ-kreativ tat sich jüngst Fiona Swarovski hervor. Wohl bei ihrem morgendlichen Ausritt auf dem 70.000 Hektar Anwesen kam ihr die Idee, dass von Armut betroffene Menschen Gemüse auf ihren Terrassen (!) anbauen könnten. So gesehen sind wohl auch die hunderten Kündigungen im Familienunternehmen eine Art humanitärer Akt. Viel Zeit an der frischen Luft und eigenes Biogemüse, was braucht Mensch mehr? Fiona S. erinnert damit an Marie Antoinette, die den nach Brot verlangenden Massen während der Französischen Revolution riet, Kuchen zu essen ...
Wie Shakespeare schon sagte: „Auch wenn es Wahnsinn ist, so hat es Methode.“ Zeit unsere Methoden zu überdenken und die heurigen und künftigen Kollektivverhandlungen mit Betriebsversammlungen, Mitgliederkonferenzen, Basisabstimmungen und Aktionen nach einem neuen Motto zu führen: „Wir wollen nicht nur ein größeres Stück vom Kuchen, sondern die ganze Bäckerei!“

Lis Mandl, Betriebsratsvorsitzende KuS und Mitinitiatorin der Kampagne „Wir sind ÖGB“