Gesundheits- und Sozialbereich nicht krank sparen: Mehr als 6.000 bei Demonstrationen in Wien, Linz, Graz und Klagenfurt

Wir können nicht zulassen, dass der gesamtgesellschaftlich so wichtige Gesundheits- und Sozialbereich krank gespart wird, sind sich die Gewerkschaften GPA-djp und vida einig. Am 1. Februar 2012 demonstrierten in Wien, Linz, Graz und Klagenfurt mehr als 6.000 Menschen für eine kräftige Lohn- und Gehaltserhöhung für die mehr als 100.000 Beschäftigten im privaten Gesundheits- und Sozialbereich.

Arbeitgeber verweigern faire Einkommenserhöhung

Anlass für die Kundgebungen: Nach mehreren Verhandlungsrunden verweigern die Arbeitgeber den Beschäftigten sowohl beim BAGS-Kollektivvertrag (Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe) als auch beim Caritas-Kollektivvertrag eine faire Einkommenserhöhung. Die Angebote liegen nach wie vor unter der Teuerungsrate, die im Jahresschnitt 2011 bei 3,3 Prozent lag.

Start der Demo vor der GPA-djp-Zentrale

"Heute frieren wir, doch ab jetzt müssen sich die Arbeitgeber warm anziehen. Sie haben die Verantwortung für die Entlohnung der Beschäftigten. Wir kommen überall hin, wo immer die Arbeitgeber sind", eröffnete Reinhard Bödenauer von der GPA-djp den Beginn der Kundgebung mit einer Anspielung auf die neue Büroadresse des BAGS-Arbeitgeberverbandes in Wien.
"Die Inflationsrate lag 2011 bei 3,3 Prozent, die Dinge des täglichen Lebens haben sich um 3,8 Prozent verteuert, Miete, Energie und Gas um 5,8 Prozent. Es ist ganz einfach notwendig, dass es eine ordentliche Einkommenserhöhung für die Beschäftigten im Sozialbereich  gibt", fügte Michaela Guglberger, vida-Bundesfachgruppensekretärin für soziale Dienste hinzu.

Caritas-Betriebsrätin Wurzer: Kämpfen mit hohem Arbeitsdruck

"Seit Jahren kämpfen die Beschäftigten mit hohem Arbeitsdruck und der Unterbesetzung. Sieht so die Arbeit in einer Zukunftsbranche aus?", wies Caritas-Betriebsrätin Gabriele Wurzer auf die belastenden Arbeitsbedinungen im Sozial- und Pflegebereich hin. Auch Christa Weingartner, die für die Beschäftigten aus Niederösterreich sprach, verlangte eine ordentliche Lohn- und Gehaltserhöhung für die wertvolle Leistung der Beschäftigten.
Von der GPA-djp zogen die DemonstrantInnen vor das Büro des BAGS-Arbeitgeberverbandes zur Abschlusskundgebung.

ÖJAB-Betriebsrat Hackl: Bei Verhandlungen ist plötzlich kein Geld da

Betriebsrat Peter Hackl von der Österreichischen Jungarbeiterbewegung ortete in seinem Statement bei den Arbeitgebern eine "gewisse Schizophrenie": "Unterm Jahr hören wir, wie wertvoll unsere Arbeit ist. Wenn es um die Lohnverhandlung geht, ist plötzlich kein Geld für uns da", kritisierte Hackl. "Die Beschäftigten des Gesundheits- und Sozialbereichs erfüllen öffentliche Aufgaben. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, die Mittel dafür zu besorgen. Das ist die Aufgabe der Arbeitgeber", sagte der Betriebsrat.

Steinkellner: Zeigen die Scheinheiligkeit der Arbeitgeber

Willibald Steinkellner, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft vida, wies in seiner Rede ebenfalls auf den hohen Arbeitsdruck im im privaten Gesundheits- und Sozialbereich hin. Die Organisationen und Vereine kalkulieren mit äußerst knappen Personalressourcen, laufendes Einspringen gehört für viele Beschäftigte zum Arbeitsalltag. Trotz harter Arbeit liegt die Entlohnung um 17 Prozent unter dem branchenübergreifenden Durchschnitt.
"Es ist Zeit, die Scheinheiligkeit aufzuzeigen, mit der die Politik, aber auch die Arbeitgeber agieren", sagt der stellvertretende vida-Vorsitzende Willibald Steinkellner. "Alle reden von der Zukunftsbranche Pflege und Betreuung. Aber wenn es ums Zahlen geht, drücken sich alle", kritisiert der Gewerkschafter. Die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialbereich sind tagtäglich und rund um die Uhr im Einsatz. "Diese Leistung gibt es nicht zu Dumpingpreisen", verlangt Steinkellner einen fairen Kollektivvertragsabschluss.

Volkshilfe-Betriebsrätin Haunschmid zum Kilometergeld

Isabella Haunschmid, Betriebsrätin bei der Volkshilfe Wien, kritisierte, dass im BAGS-Kollektivvertrag derzeit keine  Kilometergeld-Regelung verankert ist. "Die einen zahlen gar nur 14 Cent, die anderen 22 Cent. Wir verlangen, dass das amtliche Kilometergeld von 42 Cent auch für die Beschäftigten im Sozial- und Pflegebereich gilt. Das amtliche Kilomtergeld muss im BAGS-Kollektivvertrag verankert werden", verlangte die Betriebsrätin.

Stein übt Kritik an familienfeindlichen Arbeitsbedingungen

"Die unbezahlte Betreuungsarbeit innerhalb der Familie wird größtenteils von Frauen geleistet. Deshalb wollen wir gerade in diesem Bereich, in dem 80 Prozent der Beschäftigten Frauen sind, durchsetzen, dass sowohl die Elternkarenz und als auch die Hospizkarenz auf die Vorrückungen im Lohn- und Gehaltsschema angerechnet werden", forderte GPA-djp Bundesgeschäftsführerin Dwora Stein bei der Abschlusskundgebung.
"Absolut abzulehnen ist jegliche Flexibilisierung bei der Arbeitszeitgestaltung. Schon jetzt werden Dienstpläne oft zu spät ausgegeben oder nachträglich geändert. Das ist vor allem für alle, die sich neben dem Beruf um Kinder oder andere Angehörige kümmern, überaus problematisch", so Stein weiter.

Blick auf den Lohnzettel als Beleidigung

Einen Kollektivvertragsabschluss, der einen Reallohnverlust bedeute, würden die Gewerkschaften keinesfalls zulassen. "Ein Beschäftigter aus dem Sozialbereich meinte kürzlich, der Blick auf seinen Lohnzettel sei jeden Monat eine Beleidigung. Diese Beleidigung  muss ein Ende haben. Wir fordern eine Erhöhung der Einkommen um 4,1 Prozent", erklärte Stein zum Abschluss der Kundgebung in Wien.

Verhandlungen am 20. und 22. Februar

Die Kollektivvertragsverhandlungen mit der Berufsvereinigung der Arbeitgeber im Gesundheits- und Sozialbereich (BAGS) werden am 20. Februar fortgesetzt, jene mit der Caritas am 22. Februar. Sollte es bei diesen Terminen zu keiner Einigung kommen, ist mit weiteren gewerkschaftlichen Maßnahmen zu rechnen.

Rund 100.000 Beschäftigte betroffen

Der BAGS-Kollektivvertrag gilt für rund 90.000 Beschäftigte aus dem privaten Sozial- und Gesundheitsbereich, der Caritas-Kollektivvertrag für die rund 12.000 Beschäftigten der Caritas. Große Arbeitgeber in der BAGS sind beispielsweise das Österreichische Hilfswerk, die Lebenshilfe Österreich, die Volkshilfe, Caritas Socialis, das Kuratorium Wiener Penionisten Wohnhäuser, das Berufliche Bildungs- und Rehabilitationszentrum (BBRZ) oder die Jungarbeiterbewegung.

GPA-djp, 01.02.2012