Braucht die Pensionsversicherung eine Reparatur?

Einmal mehr wurde anlässlich der Publikation eines Langfrist-Gutachtens der Pensionskommission  eine Debatte über vermeintlich "notwendige" Pensionsreformen entfacht: Behauptet wird, die öffentlichen Pensionskosten würden bis 2060 kräftig steigen. Wahr ist, dass die Langfrist-Prognosen nur einen  moderaten Anstieg erwarten lassen. Behauptet wird, ein auf die steigende Lebenserwartung bezogener "Automatismus" würde die Pensionen auch für die heute Jüngeren sichern. Wahr ist, dass mit einer derartigen Reform den Jüngeren die steigende Lebenserwartung gleich doppelt in Rechnung gestellt werden würde.
Behauptet wird weiters, es seien dringend Maßnahmen zur Anhebung des faktischen Pensionsalters erforderlich. Wahr ist, dass das faktische Pensionsalter seit Jahren steigt und dass das Regierungsprogramm dazu eine weitere sehr wichtige Maßnahme vorsieht (Einführung eines Bonus-/Malus-Systems für ArbeitgeberInnen, die Ältere beschäftigen bzw. nicht beschäftigen), diese aber von jenen blockiert wird, die vehement Reformen fordern.

Die Gesamtbelastung der öffentlichen Haushalte mit Pensionskosten steigt nur geringfügig

In so gut wie allen europäischen Staaten sind die öffentlichen Ausgaben für Pensionen einer der größten Posten. Wie diese Ausgaben finanziert werden, unterscheidet sich jedoch beträchtlich. In Österreich wird der Großteil durch Sozialversicherungsabgaben gedeckt und ein kleinerer Teil durch das allgemeine Steueraufkommen, vor allem in Form des Bundesbeitrags an die gesetzliche Pensionsversicherung sowie die Zahlungen an BeamtInnen im Ruhestand. Wird gegen das Pensionssystem polemisiert, greifen sich KritikerInnen mit dem Bundesbeitrag zur den Pensionsversicherungsanstalten nur jenen  Teil heraus, in dem Kostensteigerungen erwartet werden. Ausgeblendet werden die Ausgaben für die BeamtInnenpensionen, da deren erwarteter Rückgang nicht ins Bild passt.
Realität ist, dass der von der Pensionskommission errechnete Kostenanstieg in der gesetzlichen Pensionsversicherung ("um mehr als 2,3 Prozentpunkte auf 4,8 Prozent des BIP im Jahr 2060") nur die eine Seite der Medaille ist. Die andere Seite ist die Tatsache, dass nach den zuletzt verfügbaren Daten aus dem Finanzministerium im gleichen Zeitraum beim Aufwand für die BeamtInnenpensionen ein Rückgang von derzeit 3,5 auf 1,4 Prozent des BIP erwartet wird. Wesentliche Gründe für diese konträr verlaufenden Entwicklungen sind die massiven Kostenverschiebungen zwischen den beiden Systemen aufgrund der vielen Unternehmensausgliederungen aus dem öffentlichen Dienst und aufgrund der massiven Rücknahme der Zahl der Pragmatisierungen.
Das Ausblenden der sinkenden Pensionskosten im Bereich der BeamtInnen zeichnet damit nicht nur ein unvollständiges, sondern ein höchst verzerrtes Bild. Eine sachliche Auseinandersetzung mit der Thematik schaut anders aus.
Wenig verwunderlich ist in Anbetracht der tendenziösen Darstellung, dass in den Attacken gegen die gesetzliche Pensionsversicherung auch die massiven Unterschiede zwischen den Bundeszuzahlungen zu den ASVG-Pensionen und zu den Pensionen der Selbständigen unerwähnt bleiben. Während im ASVG nur 16 % des Gesamtaufwands aus Steuergeldern finanziert wird, sind es bei den Gewerbetreibenden bzw. Bauern und Bäuerinnen unter Berücksichtigung der dort gezahlten "Partnerleistung des Bundes" 51 % bzw. 78 % (Werte 2012).
Bemerkenswert ist, welche Zielvorstellungen der vehementen Kritik an den vermeintlich zu hohen langfristigen Pensionskosten zugrunde liegt. Offenbar wird die Meinung vertreten, die Pensionen der heute Jüngeren (nur um diese Altersgruppe geht es wenn von den Pensionskosten im Jahr 2060 die Rede ist) sollten um einiges stärker gekürzt werden als das durch die bereits durchgeführten Reformen ohnehin bereits der Fall ist (und/oder ihr Pensionsalter sollte massiv nach oben versetzt werden).
Die Forderung nach neuerlicher Reform dürfte nicht zuletzt dazu dienen, von der Blockade der ausständigen Umsetzung des Bonus-/Malus-System für ArbeitgeberInnen abzulenken
Die öffentliche Alterssicherung in Österreich wurde in etlichen Reformschritten – beginnend bereits in den 1980er-Jahren – ganz massiv umgestaltet und auf die sich ändernden Rahmenbedingungen ausgerichtet, wie z.B. auf die steigende Lebenserwartung (siehe unten). Etliche Reformen wie die Umstellung auf "Lebensdurchrechnung" im Rahmen des neuen Pensionskontorechts werden erst in den kommenden Jahren und Jahrzehnten voll zur Wirkung kommen – allein schon deshalb, weil eine Änderung der Pensionsberechnung nur Schritt für Schritt in den Pensionsstand hineinwirkt.
Einige gravierende Änderungen wurden erst vor kurzem durchgeführt und müssen naturgemäß in ihrer Wirkung erst beobachtet werden. Das gilt vor allem für das Maßnahmenpaket zu den Invaliditätspensionen (Rehab vor Pension, Anhebung der Altersgrenzen für den Tätigkeitsschutz, etc), aber zB auch für das Auslaufen der sogenannten "Hackler-Regelung" ab 60. Im Programm der Bundesregierung ist zur Wirkung dieser Neuregelungen ein umfassendes Monitoring vorgesehen kombiniert mit der Verpflichtung, bei Nichterreichung der damit verbundenen Ziele "ursachenspezifisch" gegenzusteuern.
Inhaltlich neu sind im neuen Regierungsprogramm vor allem die Einführung eines Bonus-/Malus-Systems für Unternehmen, die Ältere beschäftigen bzw. nicht beschäftigen und ambitionierte Zielformulierungen zur Steigerung der Beschäftigungsquoten bei den Über-55-Jährigen und zur Steigerung des faktischen Pensionsalters.
Wie die Diskussion in den letzten Wochen und Monaten gezeigt haben, stößt die Einführung des vorgesehenen Bonus-/Malus-Systems auf den massiven Widerstand jener ArbeitgeberInnen, die sich beharrlich weigern Ältere zu beschäftigen. Vieles spricht dafür, dass das Trommeln nach erneuter Pensionsreform bzw. nach Einführung eines "Automatismus" primär dazu dient, von der Blockade der Umsetzung des Bonus-/Malus-Systems abzulenken.
Bezeichnend ist, dass die FürsprecherInnen umfassender "Reformen" einerseits die raschere Anhebung des faktischen Pensionsalters als ganz zentrale Aufgabe herausstreichen, andererseits aber die Blockade des genau zu diesem Zweck vorgesehen Bonus-/Malus-Systems durch die Arbeitgeberverbände mit keinem Wort erwähnen.
Wie wichtig die Einführung von Anreizmechanismen auch für ArbeitgeberInnen ist, wurde vor kurzem in einer Wifo-Studie hervorgehoben: "Die lange Phase der Reformen pensionsrechtlicher Rahmenbedingungen für die Versicherten wurde mit den Maßnahmen im Strukturanpassungsgesetz 2012 … ergänzt. Das nunmehr letzte fehlende Teilstück auf dem Weg zu höherer Arbeitsmarktbeteiligung Älterer und zur Verlängerung der Erwerbsphase ist eine anreizkompatible Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme auch für die Unternehmen. Wie internationale Erfahrungen zeigen, fördern transparente Anreize der betrieblichen Kosteninternalisierung die Beschäftigungsstabilität und den Arbeitsmarktverbleib älterer Arbeitskräfte.&ldquo

Mit einem "Automatismus" würde die steigende Lebenserwartung den heute Jüngeren doppelt in Rechnung gestellt


Die vielen Pensionsreformen wurden nicht zuletzt deswegen durchgeführt, weil die durchschnittliche Lebenserwartung und der Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung steigen und man das österreichische Pensionssystem vor diesem Hintergrund zukunftstauglich machen wollte.  Wie die oben angeführten Ausgabenprognosen zeigen, ist das im Großen und Ganzen gelungen. Der Anstieg der Lebenserwartung ist in diesen Rechnungen zu 100 % berücksichtigt.
Wenn nunmehr gefordert wird, einen "Automatismus" einzuführen, der bei steigender Lebenserwartung das gesetzliche Pensionsalter nach oben verschiebt (oder wie in Schweden "automatisch" die Pensionen kürzt) dann läuft das darauf hinaus, die steigende Lebenserwartung den heute Jüngeren ein zweites Mal in Rechnung zu stellen: Der erwartete Anstieg war Grundlage für die bereits durchgeführten Leistungseinschränkungen (Umstieg auf "Lebensdurchrechnung"; Reduzierung der BeamtInnenpensionen auf ASVG-Niveau; etc) und soll jetzt offenbar mittels "Automatismus" ein zweites Mal veranschlagt werden.
Geradezu abenteuerlich mutet es an, derartige Vorschläge den heute Jüngeren als für sie vorteilhaft anzupreisen. Eine vor kurzem im Auftrag des Kurier durchgeführte OGM-Umfrage zeigt, dass die meisten Jugendlichen das durchschauen: "77 Prozent der bis 30-Jährigen halten nichts von einer Automatik".

Josef Wöss, 10. Dezember 2014, Blog Arbeit & Wirtschaft